Bildungskongress 2018: Enthusiasmus für Bildung

Der diesjährige Münstersche Bildungskongress stand unter der Überschrift „Begabungsförderung, Leistungsentwicklung, Bildungsgerechtigkeit“ und beeindruckte allein schon durch seine Größe. Lange vor den Kongresstagen vom 19. bis 22. September 2018 war der Kongress mit über 1.000 Anmeldungen ausgebucht. Nicht nur darin kommt ein großer Enthusiasmus in den Schulen und bei Lehrerinnen und Lehrern zum Ausdruck. Stets fanden die Plenarvorträge im mit 1.000 Menschen voll besetztem großen Hörsaal statt, auch am Samstagmorgen bei der letzten Keynote, als Prof. Del Siegle von der University of Connecticut in englischer Sprache in seinem Vortrag über „Understanding Gifted Students‘ Underachievement and Motivation“ durch eine unterhaltsame Mischung aus interaktivem Dialog mit Teilnehmer/innen, empirischen Forschungsergebnissen und persönlichen Erfahrungen die Zuhörer/innen zu begeistern wusste.

Bildungsenthusiasmus

Auch die zahlreichen Vorträge und Workshops, die Flure und das zentrale Tagungszelt nutzten die Teilnehmer-/innen für engagierte Diskussionen, regen Erfahrungsaustausch und die Entwicklung neuer Ideen. Besonders wertvoll: Der Kongress versammelte (wie immer) Bildungsakteure aller Ebenen und Kontexte: Lehrer-/innen aus den Schulen, Lehreraus- und -fortbildungsinstitutionen, aus der Bildungspolitik und aus der Forschung.

Es war gut zu sehen, dass der Kongress das genaue Gegenteil der oft beschworenen Theorie-Praxis-Kluft lebte. Ganz neu war, dass in diesem Jahr der Forschungsverbund   „Leistung macht Schule“ (LemaS) Teil des Kongresses war. Alle 27 Teilprojekte trafen hier zum ersten Mal mit den 300 Projektschulen zusammen, stellten ihre Forschungsvorhaben vor und trafen Verabredungen für das weitere Vorgehen: gelebte Zusammenarbeit von Schule und Forschung in einer bisher ungekannten (nationalen) Größenordnung.

Bildung!

Prof. Nida-Rümelin

Am überraschendsten, aber auch am wichtigsten fand ich, dass nicht nur Prof. Julian Nida-Rümelin, sondern auch mehrere andere Vortragende wie Jürgen Baumert, aber auch – eher nicht so erwartbar – Prof. Schleicher anmahnten, sich zu erinnern und stets aufs Neue zu fragen, was wir eigentlich als Ziele der schulischen Bildung bestimmen wollen. Für die Fremdsprachendidaktik ist eine solche ständige Besinnung dringlich: Aus den Bildungszielen eines selbstbestimmten Lebens und der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, wie sie Prof. Nida-Rümelin in seiner Kritik funktionalistischer Bildungsvorstellungen und in expliziter Anknüpfung an die humanistische Bildungstradition formulierte, leiten sich unmittelbar die Ziele des schulischen Fremdsprachenunterrichts ab, wie man sie im Leitziel der fremdsprachigen Diskursfähigkeit auf den Punkt bringen kann.

Literatur, Begabung und Bildungsgerechtigkeit

Nicht zuletzt deshalb hatte ich ein kaum beachtetes Phänomen zum Thema meines Vortrags gemacht. Unter der Überschrift “Literatur, Begabung und Bildungsgerechtigkeit“ entwickelte ich die These, dass die Marginalisierung literarisch-ästhetischer Texte im Fremdsprachenunterricht der Sekundarstufe I nicht nur dazu führt, dass eine Menge Begabungen, Interessen und Fähigkeiten unentdeckt bleiben, sondern auch dazu, dass eine große Zahl von Schüler-/innen von der Begegnung mit fremdsprachige Literatur ausgeschlossen bleibt. Bei der bekannten Bedeutung des Bildungshintergrunds für den Schulerfolg wird damit auch die soziale Teilung der schulischen Bildung mit befördert. Ich war ein wenig überrascht, dass es zu dieser These nur zustimmenden Wortmeldungen gab.

 Abstract des Vortrags

Kompetenzen?!

Zu den eher überraschenden Wendungen, die auf diesem Kongress sichtbar wurden, gehörte nicht nur, dass allenthalben, auch von vormaligen Vertreter-/innen kompensatorischer Bildungskonzepte, die Einsicht artikuliert wurde, dass die Begabungsförderung einen wichtigen Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit leistet. Überraschender war, dass Prof. Schleicher, vor allem im Hinblick auf die Herausbildung digitalisierter Gesellschaften, ein komplexes Kompetenzmodell vorstellte, das gerade nicht nur testbares Wissen und Können, sondern auch personale, attitudinale und motivationale Faktoren beinhaltete. Damit rückt endlich ein ganzheitlicher Kompetenzbegriff in den Mittelpunkt, der die zentralen Bildungsziele an eine Persönlichkeitsentwicklung koppelt, die sich aus einer Vielzahl von Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kenntnissen und Bereitschaften speist, also gerade nicht nur aus solchen Kompetenzen, die PISA testfähig sind. Man darf hoffen, dass auch auf diesem Weg die oft beschworene unglückliche Entgegensetzung von Bildung und Kompetenzentwicklung überwunden werden kann.

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