Die Rückeroberung des didaktischen Denkens

In der Didaktik gibt es Begriffe (concepts, Konzepte!), die sind so etabliert und schon so lange im Umlauf, dass niemand mehr fragt, was sie eigentlich bezeichnen sollen. Merkmale für diese Art didaktischer Naturalisierung sind die unhinterfragte Verwendung dieser Begriffe in allen möglichen didaktischen Kontexten, auch wissenschaftlichen Veröffentlichungen und, im Gefolge, in den Hausarbeiten und Ausarbeitungen von Studierenden und Referendaren. Dieses gehäufte Auftreten von Konzepten und vor allem deren curriculare Verankerung garantiert dafür, dass jeder sie verwendet – mit allen Folgen. Was curricular verordnet ist, wird als gültig betrachtet. Beispiele für solche naturalisierten Konzepte sind vor allem die ‚Kompetenzen’ – oder was dafür gehalten wird: die ‚Interkulturelle Kompetenz’, die ‚Soziale Kompetenz, die ‚Kommunikative Kompetenz’.

Das Erfolgsgeheimnis naturalisierter Konzepte

Das Erfolgsgeheimnis solcher Konzepte hat 3 Gründe:

1 Erstens sind sie alltagstauglich und scheinen dafür gemacht zu sein, im gehobenen Alltag sozial, politisch, ökonomisch profitable Verwendung zu finden – vor allem auch im politischen Diskurs und dort, wo man nicht nur so vor sich hin-, sondern kompetent lebt, fit für alle Lebenslagen, terminologisch gewappnet. Wer fühlt sich beim Interkulturellen, beim Sozialen und beim Kommunikativen nicht gern zuständig? Wer möchte schon inkompetent sein? Nicht mitreden können?

2Zweitens sind solche Begriffe so allgemein, so abstrakt, dass sie auf alles passen. Man muss nicht lange argumentieren, dass es sich um ‚Medien’ oder um ‚Interkulturelles’ handelt. Etwas wird in der Fremdsprache verhandelt? Klar, das muss interkulturell sein. Jemand kann Facebook? Dieser Mensch muss medial kompetent sein. Facebook ist ja ‚Medien’ – irgendwie. Menschen sitzen, arbeiten, vergnügen sich zusammen? Das ist sozial! Solche abstrakten Begriffe machen uns im Alltag die Welt verfügbar, und sie machen die Welt auch sympathisch – weil wir sie verstehen und uns darin einrichten können.

3 Drittens und schlimmstens: Solche Begriffe ersparen das selbständige Denken, vor allem jenes, das nach dem Bildungs-Sinn des Unterrichtshandelns fragt. Beinahe gebetsmühlenartig werden in didaktischen Abhandlungen die Begründungen für das jeweilige Tun auf der Ebene abstrakter, unhinterfragter, naturalisierter Leitbegriffe herbeizitiert. Wer sich ihrer bedient – Begriffen der medialen, sozialen, interkulturellen Kompetenz -, ist vermeintlich auf der sicheren Seite, weil man ja das Curriculum und das didaktische Mainstream-Denken bedient. Dem Unterricht hilft das nicht.

Was ist zu tun?

Was ist zu tun? Ich habe nichts gegen die Definition von Kompetenzzielen. Aber man muss dem eigenständigen didaktischen Denken wieder zu seinem Recht verhelfen. Wir Didaktiker/innen müssen uns die Hoheit über das didaktische Denken zurückerobern. Didaktiker/innen sind nicht die Erfüllungsgehilf/innen der staatlich verordneten Curricula und Standards, sondern selbstständig denkende Lehrer/innen und Theoretiker/innen, unseren Schüler/innen zugetane Menschen, Profis in der Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen. Wir sind, als wirkliche Menschen, Ansprechpartner/innen, Begleiter/innen und fachliche Expert/innen für unsere Schüler/innen.

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