Alleskönner Bilingualer Unterricht? – In zwei Sprachen!

Der Erfolg des Bilingualen Unterrichts spiegelt sich sowohl in der steigenden Nachfrage nach bilingualen Bildungsangeboten als auch in den Ergebnissen wissenschaftlicher Studien. Bilingual Lernende erreichen eine deutlich höhere Fremdsprachenkompetenz bei gleichzeitigem Erwerb von Fachkonzepten. Zudem haben sie hervorragende Bedingungen für die Entwicklung kulturbewusster Mehrperspektivität, wenn sie Fachinhalte – wie z.B. durch Klimawandel verursachte Anpassung von Organismen – aus verschiedenen internationalen Blickrichtungen betrachten – z.B. Veränderungen im heimischen Wald im Vergleich zu Lebewesen im Polarkreis.

Ziel: doppelte Fachliteralität

Schon früh wurde „die fremdsprachige Konstruktion wissenschaftlicher Begriffe“ (Hallet 2002) als einer der größten Vorteile des Bilingualen Unterrichts identifiziert. Eine Forschergruppe an der Bergischen Universität Wuppertal (BUW) verknüpft diese Stärke mit der Frage nach der Ausbildung der doppelten Fachliteralität, d.h. die Fähigkeit zur Teilnahme am Fachdiskurs sowohl in der Fremdsprache als auch in der Schulsprache Deutsch. Doppelte Fachliteralität ist nicht nur theoretisch erwünscht, sondern auch curricular begründet (vgl. z.B. KMK 2013).

Ein Modell des bilingualen mentalen Lexikons

Die Forderung nach der Fähigkeit der bilingual Unterrichteten, den Fachdiskurs in zwei Sprachen führen zu können, wird im Modell des Integrated Dynamic Model (IDM) (Diehr 2016) veranschaulicht.

Integrated Dynamic Model des mentalen Lexikons bilingual Unterrichteter (Diehr 2016: 71)

Das IDM beschreibt das Verhältnis zwischen konzeptuellem und sprachlichem Wissen, zwischen Fach- bzw. Unterrichtssprache und Alltagssprache (s. dazu den Beitrag von Wolfgang Zydatiß in diesem Blog); es unterstreicht die Dynamik des Lernprozesses und hebt das komplexe Verhältnis von konzeptuellen Äquivalenzgraden in den beiden Sprachen hervor (Diehr 2016).

Genuin zweisprachige Fachdiskurse

Die Forschergruppe an der BUW geht seit einigen Jahren der Frage nach, ob und wie Lernende Fachkonzepte wie z.B. METABOLISMUS (Biologie), SAUER (Chemie) oder ELECTION (Politik) in zwei Sprachen ausbilden und wie sich das Verhältnis der Komponenten des IDM im Laufe des Bilingualen Unterrichts verändert. Die dazu durchgeführten Studien deuten darauf hin, dass Schülerinnen und Schüler z.B. im bilingualen Biologie- oder Chemieunterricht die Fachkonzepte in der Fremdsprache ohne inhaltliche Abstriche konstruieren; sie sind jedoch nicht in gleichem Maße in der Lage, den Fachdiskurs in der Schulsprache Deutsch zu führen, wenn der sog. bilinguale Unterricht monolingual in der Fremdsprache erteilt wurde. Oft behelfen sie sich dann mit alltagssprachlichen Paraphrasen, denen es an Präzision mangelt und die in bestimmten Kontexten sogar falsch sind und eine konzeptuelle Umstrukturierung erfordern. Dies tritt z.B. ein, wenn Lernende bei der Erläuterung bio-chemischer Prozesse die deutsche Formulierung ‚auf freien Fuß setzen‘ verwenden, wo sie im Englischen ‚release‘ im Sinne von ‚freisetzen’ korrekt benutzen. Doppelte Fachliteralität entwickelt sich also nicht beiläufig, sondern erfordert didaktisch gut begründete, funktionale Sprachwechsel.

Sprachwechsel im Bilingualen Unterricht

Um Missverständnissen vorzubeugen, muss deutlich hervorgehoben werden, dass ein Plädoyer für funktionale Sprachwechsel nicht bedeutet, dass im Unterricht zwei Sprachen zu gleichen Teilen verwendet werden sollten oder dass alle Inhalte sowohl in der Fremdsprache als auch auf Deutsch vermittelt werden sollten. Auch ein der Beliebigkeit anheimgestelltes Codeswitching fällt nicht unter das Verständnis von funktionalen Sprachwechseln. Vielmehr muss die Weiterentwicklung des Bilingualen Unterrichts sich am Konzept des translanguaging orientieren, wonach Sprachwechsel z.B. beim Wechsel zwischen Rezeption und Produktion oder beim Wechsel der Repräsentationsformen wichtige Funktionen für die konzeptuelle Verarbeitung von Fachinhalten ausüben.

Konsequenzen für die Praxis

Eine Fragebogenerhebung unter 70 bilingual unterrichtenden Lehrkräften zeigt, dass zwar 80% von ihnen erwarten, dass Lernende Fachbegriffe auf Englisch und Deutsch erwerben, dass aber nur 46% die deutsche Sprache planvoll im bilingualen Unterricht einsetzen (Diehr/Frisch 2018: 250). In der Lehrerausbildung und in Fortbildungsangeboten sollten daher folgende Konsequenzen für die Praxis thematisiert werden:

  • Identifizierung von kurzen Phasen, in denen im Laufe einer bilingualen Unterrichtseinheit Fachbegriffe auf Deutsch explizit eingeführt und geübt werden
  • Kontrastierung von Fachkonzepten in der Fremd- und in der Schulsprache, um partielle Äquivalenzen und fehlende Äquivalenzen bewusst zu machen
  • Auswahl von Sprachwechselverfahren (translanguaging), die didaktisch begründet und sparsam zum Einsatz kommen.

Der demografische Wandel der Gesellschaft und die sprachliche Heterogenität der Schülerschaft unterstreichen den dringenden Bedarf nach einem genuin zweisprachigen Bilingualen Unterricht, der auch jüngeren Lernenden sowie Kindern und Jugendlichen mit nicht-deutscher Erstsprache den Erwerb einer Fremdsprache und des Deutschen auf bildungssprachlichem Niveau ermöglicht (s. dazu den Beitrag von Wolfgang Hallet in diesem Blog). Der Alleskönner „Bilingualer Unterricht“ kann auf diesem Weg einen bedeutenden Beitrag zu Mehrsprachigkeit und Multiperspektivität leisten.

Empfohlene Literatur

Diehr, Bärbel (2016). Doppelte Fachliteralität im bilingualen Unterricht. Theoretische Modelle für Forschung und Praxis. In: Diehr, Bärbel/Preisfeld, Angelika/Schmelter, Lars (Hg.). Bilingualen Unterricht weiterentwickeln und erforschen. Frankfurt (Main): Peter Lang. 57-84. — Diehr, Bärbel/Frisch, Stefanie (2018). Das Zusammenspiel von zwei Sprachen im bilingualen Unterricht. Theoretische Überlegungen, empirische Erkenntnisse und praktische Implikationen. In: Caruso, Celestine/Hofmann, Judith/Rohde, Andreas/Schick, Kim (Hg.). Sprache im Unterricht. Ansätze, Konzepte, Methoden. Trier: WVT. 245-259. — Hallet, Wolfgang (2002). Auf dem Weg zu einer bilingualen Sachfachdidaktik. Bilinguales Lernen als fremdsprachige Konstruktion wissenschaftlicher Begriffe. Praxis des neusprachlichen Unterrichts 49/2, 114-127. — Kultusministerkonferenz (KMK) (2013). Konzepte für den bilingualen Unterricht – Erfahrungsbericht und Vorschläge zur Weiterentwicklung. http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2013/201_10_17-Konzepte-_bilingualer-_Unterricht.pdf (02/08/2019).

Zur Homepage der Forschergruppe Bilinguales Lernen und Lehren an der Bergischen Universität Wuppertal

2 Kommentare

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  • Meine Schwester liebt das Sprachenlernen. Sie hat in ihrer Schule mit dem Konzept des bilingualen Unterrichts und dessen besonderer Lernmethode gute Erfahrungen gemacht. Ich hoffe, sie findet eine Ausbildung, die ebenfalls dieses Konzept integriert hat.

  • Das ist sehr zu wünschen. Frau Bergen. Natürlich ist bilinguale Bildung und Ausbildung immer noch kein Standard. Da andererseits im 21. Jahrhundert kaum ein Beruf denkbar ist, in dem nicht Englisch erforderlich ist, sind jedoch tatsächlich in der beruflichen Bildung vielerorts erfolgreiche Modelle des integrierten Inhalts- und Sprachlernens entwickelt worden.

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