„I’ve got a story to tell.“ Comics als Kompetenzaufgabe

Nachdem ich ein Jahr eher lehrwerksorientiert gearbeitet hatte, bekam ich Lust, wieder etwas kreativer zu werden. Das erste Berufsjahr hatte ich überstanden. Nun wollte ich gerne frei vom Referendariatsdruck einfach ausprobieren, wie ich in meiner Unterrichtsplanung mit der Kompetenzaufgabe arbeiten und ob sie den Unterricht bereichern kann.

Der Ausgangsgedanke: Storytelling und sinnhaftes Lernen

Drei Gedanken brachten mich zur Arbeit mit einem Comic:

  1. Ich hatte mich in der Arbeit mit meiner 7. Klasse einer Gesamtschule sehr am Textbuch orientiert und deshalb hatten die Schülerinnen und Schüler zu wenig gesprochen, gerade was persönliches Erzählen angeht.
  2. Viele meiner Schülerinnen und Schüler zeichnen gerne. Die Wände der Klassenzimmer waren mit ihren Bildern geschmückt, und oft kritzelten sie beim Zuhören vor sich hin.
  3.  Nicht zuletzt war der Zufall schuld: Als ich in der Zeitschrift Der fremdsprachliche Unterricht Englisch schmökerte, bekam ich Lust auf Comics. Der Artikel von Philipp Stückrath und Carola Surkamp (s.u., Literatur) war sehr inspirierend.

Ein Panel aus Ilarias Comic

Also: Zeichnen und Erzählen sollte es sein! Ich wollte gerne mit den Schülern etwas kreieren, woran sie und auch ich Freude haben und ihnen ästhetische Erlebnisse ermöglichen.

Das Ziel war also: Die Schülerinnen und Schüler sollten einen autobiografischen Comic zeichnen und diesen vor der Klasse auf Englisch präsentieren.

Die Ergebnisse
Nadias Story, Schülerin der 7. Klasse

Ilarias Story, Schülerin der 7. Klasse

Enis‘ Story, Schüler der 7. Klasse

Anleitung zur autobiographischen Comic-Erzählung

Wie haben die Schüler/innen das geschafft? Was brauchen sie, damit so etwas gelingen kann?

1Ein Comic ist ein anspruchsvolles, komplexes Arbeitsprodukt. Die Unterrichtseinheit wurde daher als komplexe Kompetenzaufgabe angelegt (Material 1; alle Materialien im Download) und in ein Prozessmodell übertragen (Material 2). Darin sind einzelne der folgenden Schritte abgebildet.

2Die Schülerinnen wurden anhand eines Beispiels (Material 3) in die Gattung der Comics, in die Gestaltung eines panel (Material 4) und in das Erzählen als panels-Sequenz in fünf klassischen Schritten eingeführt (Material 5).

3Die Schüler/innen wurden angehalten, zum mündlichen Vortrag einer Story mittels eines Feedback Sheet (Material 6) differenziert Rückmeldung zu geben.

Zum Download Material: Planung und Worksheets  Das Modell der komplexen Kompetenzaufgabe

Stolpersteine

Beim autobiografischen Erzählen gab es ein Problem: Viele meiner Schülerinnen und Schüler haben schmerzliche Erfahrungen hinter sich, die über die gewöhnlichen Pubertätserfahrungen hinausgehen. Einige von ihnen haben Fluchterfahrung gemacht oder ähnlich Schwieriges erlebt. Daher ließ ich alle Formen autobiographischen Erzählens zu: true story, fiction oder auch fantasy.

Eine lustige Anekdote: In der Anfangsphase fiel mir auf, dass in sehr vielen Geschichten Stürze eingebaut waren: hinfallen, runterfallen oder auf etwas fallen. Als ich eine Schülergruppe danach fragte, kam die prompte Antwort: „That’s the falling action“. Schnell fand sich die Erklärung: Im Mustercomic (Tom’s homework, Material 1) fiel gegen Ende der Geschichte ein Junge aus dem Fenster – einer klarer Fall von „falling action“, wie in der Spannungskurve (Antonym: rising action). Daher übersetzten ein paar Lernende leicht übergeneralisierend „falling action = Hinfall-Action“. Das konnte aber zum Glück noch aufgeklärt werden. 🙂

Welche technischen Voraussetzungen braucht man?
  • Ein Interactive Whiteboard (IWB) im Raum, hilfreich ist eine Dokumentenkamera;
  • Tonaufnahmegerät (optional, ggf. zur Bewertung der mündlichen Leistung);
  • Moviemaker (Windows, optional) oder ein vergleichbares, leicht zu bedienendes Video-Schnittprogramm, falls die Schülerinnen und Schüler einen Film schneiden sollen. Das muss allerdings nicht sein. Präsentieren vor der Klasse reicht auch.
Das war toll
  • Es war toll, die Schüler/innen mit viel Engagement und Begeisterung zeichnen zu sehen.
  • Binnendifferenzierung: Die Schüler/innen können die Story auf sehr unterschiedlichen Kompetenz- und Komplexitätsstufen realisieren, wie die Videos verdeutlichen.
  • Erzählen: Die Schüler/innen entwickelten Ehrgeiz, eine tolle Story zu präsentieren.
  • Rezeption: Die Schüler/innen waren sehr interessiert an den Geschichten ihrer Mitschüler-/innen und Freunde: eine tolle authentische Motivation und gespannte Stimmung im Klassenzimmer.
… und das muss man bedenken
  • Einzelne Schüler/innen ließen sich schwer motivieren. Wer keinen Spaß an Comics hat, wird sich hier langweilen (vor allem Schüler/innen, die insgesamt recht demotiviert sind).
  • Aufwand: Die Schüler/innen haben hier zwei Beispielvideos erstellt, deren technische Bearbeitung im regulären Englischunterricht kaum machbar ist.
  • Differenzierung: Für alle, die kein Video erstellen können oder möchten, empfehle ich die Präsentation des Comics vor der Klasse mit einer mündlichen Erzählung. Wenn die Schüler/innen die Comics abfotografieren, können sie leicht auf dem IWB, mit einem Projektor oder mit einer Dokumentenkamera gezeigt werden.

Literatur

Hallet, Wolfgang (2012). AutobioGraphic Novels: Selbsterzählungen in Comics-Form. Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 46 (2012), 117. 34-38. — Hallet, Wolfgang (2015). Autobiographies: Selbst-Erzählung und Selbst-Darstellung in der fremden Sprache. Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 49, 136. 2-7 and 11. — Stückrath, Philipp & Surkamp, Carola (2015). My Life in Seven Panels. Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 49, 136, S. 18-24.

Themenhefte

Graphic Novels. Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 46 (2012), 117.  Mehr zum Inhalt Kompetenzaufgaben. Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 47 (2013), 124. Mehr zum Inhalt Autobiographies: Presenting the Self. Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 49 (2015), 136. Mehr zum Inhalt

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