Musical literacy im Fremdsprachenunterricht

Es ist fast unmöglich, Musik in all ihren Formen, Facetten und Funktionen aus unserem Alltag wegzudenken. Sie ist gerade nicht nur eine Domäne für Liebhaber, sondern überall präsent: im privaten Zuhause und auf öffentliche Plätzen, live oder als Konserve; im Supermarkt ebenso wie in der Kneipe oder im Club, im Radio oder im Fernsehen auf eigenen Musikkanälen mit Musikvideos ebenso wie in jeder Unterhaltungssendung und Live-Übertragungen und natürlich in so gut wie jedem Film; und nicht zuletzt in jedem Auto oder, über Kopfhörer, individuell in öffentlichen Verkehrsmitteln. Bei dieser Omnipräsenz in allen kulturellen Kontexten und gesellschaftlichen Domänen ist es einigermaßen überraschend, dass es im Fremdsprachenunterricht und seiner Didaktik kaum eine eingehende Beschäftigung fremdsprachiger Musik und fremdsprachigen Musikkulturen gibt. Dabei ist die Sprache der Musik noch globaler als die englische Sprache.

Musik als kulturelle Hervorbringung

Es ist offensichtlich, dass Musik eine kraft- und eindrucksvolle kulturelle Hervorbringung ist. Allein schon deshalb ist sie ein wichtiger Weg, fremdsprachigen Kulturen im Unterricht zu begegnen. In ihr werden in Ton und Text wichtige gesellschaftliche Fragen und persönliche Erfahrungen verhandelt; Musik ermöglicht ästhetische Erlebnisse und affektive Zugänge zur Welt; und nicht zuletzt repräsentiert sie eine ganze Bandbreite von kulturellen und subkulturellen, manchmal auch politischen Positionen und sprachlichen Formen (slangs, Dialekte), von der klassischen Musik bis zum Rap, die ihrerseits zur Herausbildung von sozialen und kulturellen communities führen. Für viele junge Menschen sind gerade solche populärkulturellen Zugehörigkeiten eine wichtige soziale (und kommunikative!) Erfahrung und Teil ihrer personalen Identität.

Die Musikalität der Sprache

Für das Erlernen einer fremden Sprache eröffnet die Musik einen besonderen Zugang zu deren klanglicher Dimension. In der Musik rückt diese spezifische Klanglichkeit einer jeden Sprache in den Vordergrund. Die Musik erlaubt einen besonderen Weg der persönlichen Aneignung des Sounds einer Sprache, die Entwicklung einer besonderen, affektiven Vertrautheit mit diesem Klang, und nicht zuletzt auch das Spielen damit. Sprachlich gesehen lädt die musikalische Form dazu ein, sich dem Reim, der Rhythmik und im wörtlichen Sinne der Metrik und der Intonation, also sozusagen der sound patterns der fremden Sprache bewusst zu werden.

Musik als Form des persönlichen Ausdrucks

Für viele Menschen ist die Musik eine eigene ästhetische Sprache, die über die menschlichen Einzelsprachen hinaus die eindringlich und ausdrucksvolle Artikulation persönlicher Erfahrungen und Gefühle in Dur und Moll erlaubt, intensiver und präziser, als es eine alphabetische Sprache leisten könnte. Diese affektive Dimension der Musik ist es auch, die einen Text in fremder Sprache zu einer sehr persönlichen Erfahrung machen kann, außerhalb der Schule, aber auch im Unterricht. Viele junge Menschen suchen diese persönliche Ausdrucksmöglichkeit, sei es durch Mitsingen, Karaoke oder eigene Musikkreationen. Solche Erfahrungen kann auch der Fremdsprachenunterricht ermöglichen: Jede/r kann rappen lernen, jede/r kann einen Popsong kreieren, wenn man sich mit den Grundmustern vertraut gemacht hat.

Hier geht es zum  Soundtrack für einen eigenen Rap und zu einem Soundtrack für einen eigenen Popsong  | © Alexander Hallet 2017. Nur zum schulischen Gebrauch

Musical literacy: Nachdenken und Sprechen über Musik

Alle vorgenannten Erfahrungen und Zugänge sind Bestandteil dessen, was man musical literacy nennen kann: das Verstehen der besonderen kulturellen Leistungen der Musik und der Zugang zu fremdsprachigen Kulturen über die Musik; die Entwicklung eigener musikalischer Vorlieben; die Erfahrung und produktive Nutzung der Musikalität der fremden Sprache; die Musik als eigene klanglich-sprachliche Ausdrucksform. Nicht zuletzt gehört zur musical literacy, wie sie im Fremdsprachenunterricht (im Unterschied zum Musikunterricht) entwickelt wird, die nicht-spezialisierte Weise, in der man in der fremden Sprache über musikalische Phänomen und musikalische Artefakte, von einem Taylor Swift-Song bis zu einer Symphonie des London Philharmonic Orchestra, nachdenken, sprechen und sich mit anderen austauschen kann. Musical literacy ist aber ihrerseits auch Bestandteil einer multiplen Literalität, die es ermöglicht, die Kombination mehrere Bedeutungsträger (Text, Bild, Musik) in einem einzigen kommunikativen Akt nicht nur rezeptiv, sondern auch produktiv selbst zu nutzen.

Mehr zum  Themenheft Musik (2017) von Der fremdsprachliche Unterricht Englisch

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