Das CEFR Companion Volume. Was ist neu?
Beinahe zwanzig Jahre nach dem Erscheinen des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GeR) / The Common European Framework of Reference for Languages (CEFR) liegt nun ein sog. Companion Volume vor. Es fasst einige zentrale Konzepte neu (z.B. Mediation) oder führt ganze neue Kompetenzbereiche ein, z.B. plurikulturelle und plurilinguale Kompetenzen.
Eine Tagung zum neuen Companion Volume

Aus diesem Grund lud der Forschungsverbund Educational Linguistics der Justus-Liebig-Universität Gießen, ein Netzwerk der Philologischen Fächer des Fachbereichs 05, am 08. November 2019 zu einer Tagung zu dem neuen Begleitband zum europäischen Referenzrahmen (Companion Volume, CV) ein. Prof. Dr. Eva Burwitz-Melzer betonte einleitend, dass das CV mehr oder weniger erwartet worden sei, da der CEFR (2001) trotz aller Verdienste doch auch einige Schwächen und Lücken aufweise. Sie verdeutlichte die Zielsetzung der Tagung, das seit Ende 2018 einsehbare Companion Volume aus den Perspektiven verschiedener Fremdsprachendidaktiken zu beleuchten. Dementsprechend stammten die eingeladenen Redner/innen aus der Anglistik (Prof. Dr. Eva Wilden, Universität Duisburg Essen), der Romanistik (Prof. Dr. Daniela Caspari, Freie Universität Berlin) sowie aus dem Bereich Deutsch als Fremdsprache/Zweitsprache (DaF/DaZ, Prof. Dr. Claudia Riemer, Universität Bielefeld). Den einleitenden Hauptvortrag hielt Dr. Brian North (Eurocentre Foundation Zürich), der seit nunmehr 30 Jahren die Entwicklung des CEFR und nun auch des CV in leitender Funktion begleitet und koordiniert.
Integration der Kompetenzbereiche

Als Mitglied der Autorengruppe des Europarats gab Dr. Brian North zu Beginn einen Überblick über die Gesamtkonzeption des CV. Er stellte
- den Entstehungsprozess des neuen Dokuments
- die Erstellung und umfassende Validierung der Deskriptorenskalen
- neu eingeführte Kategorien wie plurilingual und pluricultural competence vor.
In Verbindung mit dem grundlegend neugestalteten Mediationskonzept hob er hervor, dass bei der Sprachverwendung allgemeine, z.B. die ebenfalls abgebildeten interaktionalen Kompetenzen, nicht mehr von Sprachkompetenzen zu trennen seien und in einem zeitgemäßen aufgabenorientierten Unterricht integriert gefördert werden müssten. North wies auf die Notwendigkeit hin, die Skalen nicht nur isoliert zu betrachten, sondern miteinander zu kombinieren. Er betonte, das CV sei – wie auch der CEFR – „a reference work, not a standard to be applied“. Dementsprechend seien die Nutzenden aufgerufen, in ihren jeweiligen Domänen sehr spezifische Umsetzungsmöglichkeiten für die vorgeschlagenen Könnensbereiche zu finden.
Einwanderungspolitik mit Deskriptoren

Prof. Dr. Claudia Riemer beschäftigte sich in ihrem Vortrag kritisch mit dem CV aus der Sicht von DaF und DaZ. Als besonders löblich hob sie die Neuerung des CV hervor, Deskriptoren unterhalb des A1-Niveaus einzuführen (Pre-A1), die z.B wegen der gering ausgebildeten Deutschkenntnisse von Geflohenen und Migrant/innen für den Bereich DaF/DaZ von besonderer Wichtigkeit seien. Für diese Menschen bestehe ein Kernproblem darin, dass Deutschland für die Immigration den Nachweis von Deutschkenntnissen auf Niveau A1 verlange. Dies sei für viele nicht erreichbar und stelle für viele eine hohe Hürde dar. Mit den neuen Pre-A1-Skalen sieht sie die Möglichkeit, diesen Menschen besser gerecht zu werden. Zugleich bedauerte sie, dass Pre-A1-Skalen nicht für alle Bereiche des CV bereitgestellt würden; hier konstatierte sie Nachbesserungspotential.
Mediation und/vs. Sprachmittlung

Prof. Dr. Daniela Caspari stellte das hochkomplexe Konstrukt der Mediation des CV vor, das neben der interlingualen Mediation von Texten zwischen zwei oder mehr Sprachen auch die Mediation von Äußerungen und Konzepten innerhalb einer Sprache sowie die zugehörigen Strategien umfasst. Diese Auslegung brachte sie anschließend in einen kritischen Abgleich mit der momentanen interlingualen Konzeption der Sprachmittlung in Deutschland. Sie vertrat die Ansicht, dass das Konzept der Mediation im CV insgesamt zu weit gefasst, weil nicht auf interlinguale Prozesse begrenzt sei. Im Anschluss an ihren Vortrag wurde denn auch die Frage diskutiert, ob diese Neukonzeption den Fremdsprachenunterricht wirklich weiterentwickeln könne oder ob der neue, weite und komplexe Mediationsbegriff nicht ganz neue Schwierigkeiten schaffe.
Digitalisierung – eine Leerstelle im CV?

In ihrem Vortrag beschäftigte sich Prof. Dr. Eva Wilden mit dem Konzept der Digitalisierung im CV. Sie merkte an, dass der Begriff ‚digital‘ lediglich zwei Mal im gesamten Dokument auftauche, was aus ihrer Sicht auf eine Marginalisierung der Digitalisierung hindeute. Zudem sehe sie einen begrenzten Mehrwert in den Skalen zu Online interaction, da die Spezifik des Digitalen nicht gut erkennbar sei und die Könnensbeschreibungen ebenso für „Offline-Interaktionen“ gälten könnten. Wilden plädierte dafür, im Bereich der Digitalisierung die im CV vorgestellten Deskriptoren und Skalen mit anderen bereits vorhandenen Modellen der Digitalisierung des Lernens zu verknüpfen.
Das CV und die deutschen Standards
Insgesamt ergaben sich nach den Vorträgen kritische Diskussionen, auch wenn die Druckversion des CV bereits finalisiert ist und Änderungsvorschläge keinen Eingang mehr finden können. Mehrfach wurde dazu ermuntert, die Fachdiskussion intensiv zu führen, nicht zuletzt, um einem zum Teil beim CEFR festgestellten sehr problematischen Gebrauch der Skalen, etwa in der deutschen Bildungspolitik oder in der Materialentwicklung, entgegenzuwirken. Als Beispiel wurden die Reduzierung auf die four skills in den deutschen Bildungsstandards sowie die Nutzung der Globalskala in der Migrations- und Integrationspolitik genannt.
Literature
Quetz, Juergen & Rossa, Henning (eds.) (2019): Der neue Companion Volume to the Common European Framework of Reference for Languages (Begleitband zum Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen). Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 30, 2.
Dieser Beitrag wurde von Leonhard Krombach und Jan S. Schäfer, Gießen, verfasst.