Worldbuilding: Phantastische Welten erschaffen
Das ist Zufall, a happenstance, wie George R.R. Martin sagt. Beinahe am gleichen Tag, an dem unser Fantasy-Themenheft der renommierten Zeitschrift „Der fremdsprachliche Unterricht Englisch“ erschien, kündigte der weltberühmte Autor von The Song of Ice and Fire (als Fernsehserie unter dem Titel Game of Thrones bekannt) auf seinem Blog (unter dem Namen ‚Not a Blog’; https://grrm.livejournal.com/561962.html) an, dass er ein jährliches Stipendium für den Clarion West Writers Workshop in Seattle (https://www.clarionwest.org) stiften werde.
Er nennt es Worldbuilder Scholarship. Was für eine schöne Idee, was für ein zündendes Wort um anzuzeigen, worum es beim Fantasy-Schreiben geht: Welten zu erbauen. In Anspielung auf J.R. Tolkiens Idee der phantastischen secondary universes erklärt er, dass es beim Fantasy-Schreiben um das Erschaffen einer uns vertrauten und zugleich unbekannten Welt geht, „with its own rich history and geography and customs, its own beauties and terrors.”
Worldmaking in der Philosophie
Ob noch ein Zufall oder nicht: in seiner Idee des worldbuilding klingt natürlich Nelson Goodmans Konzept des worldmaking an, eine Theorie in der Nachfolge der Philosophie der symbolischen Form von Ernst Cassirer, die davon ausgeht, dass wir gar nichts wissen können von der Welt und uns nicht in ihr einrichten können, es sei denn in ihrer symbolischen Form, mag diese sprachlicher, mathematischer oder auch musikalischer Art sein. Die Welt, die wir zu erfahren und zu kennen glauben, existiert genau ab dem Moment für uns, in dem wir sie erzählen, beschreiben, abbilden oder kartographieren können, wie Goodman erklärt:
The physical and perceptual world-versions mentioned [i.e. the geocentric and the heliocentric version of the world – WH] are but two of the vast variety in the several sciences, in the arts, in perception, and in daily discourse. Worlds are made by making such versions with words, numerals, pictures, sounds, or other symbols of any kind in any medium; and the comparative study of these versions and visions and of their making is what I call a critique of worldmaking.
(Goodman 1978, 93-94; vgl. Ansgar Nünnings überzeugenden Aufsatz „Making events, making stories, making worlds, 2010, und den entsprechenden Sammelband, Nünning et al. 2010).
Phantastische Welten imaginieren
Und wenn wir Fiction schreiben oder lesen, dann müssen wir eine ganze bewohnbare Welt imaginieren; nicht nur eine literarische Figur oder ein Gebäude oder einen Baum. Wie ich bereits früher einmal dargelegt habe (Hallet 2008): Wenn wir uns eine fiktionale Welt nicht in Gänze vorstellen können, kann unser Verstand in dieser Welt gar nicht zuhause sein. Dessen müssen wir uns bewusst sein und das muss man betonen, sowohl in den Literaturwissenschaften als auch im Literaturunterricht. Wie Juliane Witzenberger und ich in unserem Fantasy-Special argumentieren, ist es gerade diese Fähigkeit unseres Verstandes, solche Anderswelten zum Leben zu erwecken, die Fantasy-Literatur und -Filme so faszinierend macht. Wie George R.R. Martin sagt:
The best fantasy carries us far from the fields we know, to worlds beyond the hill, worlds that, once visited, live on in our imaginations for the rest of our lives. They assume their own reality, these imaginary worlds.
Phantastische Welten kartieren
Und solche Welten können wir sogar kartieren, sodass wir sie bereisen und erforschen können, so als ob sie wirklich existierten. Wir können uns auf die Reise begeben und das Anderland erkunden, und wir können sogar unsere eigene fantastische Reise erfinden, wie Kiri Sara es in dem Themenheft vorschlägt. Roswitha Henseler und Stefan Möller zeigen uns, wie man im Unterricht die fantastische Welt kartieren kann. Und Anita Schilcher und Solveig Moehrle präsentieren die Karte der Insel Mysantis, die wir im gleichnamigen Spiel vor der Zerstörung retten sollen. Wie um dem beizupflichten, verweist uns George R.R. Martin zurück zum Gründungsvater der modernen Fantasy-Literatur, J.R. Tolkien:
It was not happenstance that when Lord of the Rings first achieved national popularity on the college campuses of America in the 1960s, the poster that appeared on tens of thousands of dorm rooms across the country featured neither a character portrait nor an action scene, but rather a map of Middle Earth.
Mehr zum Fantasy-Themenheft von Januar 2018 finden Sie hier:
https://www.friedrich-verlag.de/shop/sekundarstufe/fremdsprachen/englisch/unterricht-englisch/fantasy-526151?___SID=UQuellen
Goodman, Nelson (1978). Ways of Worldmaking. Indianapolis: Hackett.
Hallet, Wolfgang (2008). The Multimodality of Cultural Experience and Mental Model Constructions of Textual Worlds. In: Schlaeger, Jürgen (ed.). The Literary Mind. Yearbook of Research in English and American Literature (REAL) 24 (2008). 233-250.
Hallet, Wolfgang & Witzenberger, Juliane (eds.) (2018). Fantasy. Der fremdsprachliche Unterricht Englisch 51, 141. The contributions by Rowitha Henseler & Stefan Möller, Kiri Sara, and Anita Schilcher & Solveig Möhrle mentioned in the essay all in this special issue.
Nünning, Ansgar (2010). Making Events – Making Stories – Making Worlds: Ways of Worldmaking from a Narratological Point of View. In: V. Nünning et al. (eds.): 191-214.
Nünning, Vera, Nünning, Ansgar & Neumann, Birgit (eds.) (2010). Cultural Ways of Worldmaking: Media and Narratives. Berlin & New York: de Gruyter.